Heimische Trendnahrungsmittel
Als Ernährungsberater verfolgt Philip Süß täglich die Entwicklungen von Ernährungstrends. Genau wie z.B. in der Modebranche gibt es hier wechselnde saisonale Themen, kurzzeitige Hypes, aber auch langfristige Tendenzen. Wir sprachen mit ihm über die aktuellen Ernährungstrends.
Gibt es aktuell heimische Trendnahrung oder Trendlebensmittel?
Ja, die Hülsenfrucht ist momentan wortwörtlich in aller Munde. Insbesondere heimische Varianten wie Erbsen, Bohnen, Lupinen oder die Ackerbohne erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Hülsenfrüchte sind eine eiweißreiche, pflanzliche Alternative zu Fleisch, versorgen uns mit einer Vielzahl wichtiger Nährstoffe und sind zudem enorm ballaststoffreich. Diese Kombination macht die Hülsenfrucht unschlagbar und heutzutage so beliebt.
Gibt es aktuell besonders beliebte Beeren, Nüsse oder Kräuter?
Momentan rücken gefriergetrocknete Beeren immer mehr in den Fokus, da diese mit ihrer hohen Süßkraft Müslis, Gebäck oder Kuchen eine besondere Note verleihen. Bis vor Kurzem stand die Goji-Beere ebenfalls noch als „Superfood“ im Rampenlicht, dieser Hype verging jedoch ebenso schnell wie er auftrat. Im Allgemeinen hat der Trend des "Superfoods" Lebensmittel wie Walnuss, Gartenkresse, Acerola oder Ingwer eine erhöhte Aufmerksamkeit eingebracht. Es existieren jedoch nur sehr wenige wissenschaftliche Studien und die Ergebnisse sind recht spärlich. Häufig wird dem einzelnen Inhaltsstoff eines einzelnen Lebensmittels eine zu große Wirkung zugesprochen, zusätzlich sind die Portionsmengen unrealistisch bzw. unpassend und der Preis ist schlichtweg zu hoch. Die empfohlenen Zufuhrmengen der entsprechenden Vitamine lassen sich häufig sehr leicht durch "normales Obst und Gemüse" preiswerter decken.
Welche überregionalen Trends beobachtest du?
Es kommt tatsächlich auf die Klientel an. Patienten mit Grunderkrankungen versprechen sich häufig eine Linderung ihrer Beschwerden mit Nahrungsergänzungsmitteln oder eben mit Superfoods. Insbesondere Nahrungsergänzungsmittel entwickeln sich förmlich zu einem Ernährungstrend. Der Markt gibt mittlerweile alles her. Es gibt beinahe keine Erkrankung mehr, die durch ein Nahrungsergänzungsmittel laut Herstellerangaben nicht positiv beeinflusst werden kann. Sportler hingegen wollen "immer mehr, immer weiter und immer schneller" und sind auf der Suche nach Lebensmitteln, die leistungssteigernd wirken sollen oder greifen auf beinahe jedes Nahrungsergänzungsmittel zurück, welches es momentan auf dem Markt gibt. Dabei fehlen insbesondere bei den Nahrungsergänzungsmittel im Sportbereich die wissenschaftlichen Belege für den Nutzen dieser Produkte. Diese beiden Beispiele sind zwar nicht vergleichbar mit einem Ernährungstrend wie beispielsweise der "low-carb Diät", jedoch greifen die Menschen immer schneller auf Superfoods oder Nahrungsergänzungsmittel zurück und vernachlässigen dabei die Basis einer gesunden und ausgewogenen Ernährung. Das ist meiner Meinung nach ein viel größeres Problem.
Spielen Trends wie der Bio-Boom, umweltbewusste Ernährung und Regionalität in Schleswig-Holstein eine Rolle?
Auf jeden Fall! Ich beobachte innerhalb der letzten Jahre vermehrt, dass die Regionalität und die umweltbewusste Ernährung in Schleswig-Holstein enorm angestiegen sind. Viele Absolventen der beiden Studiengänge Agrarwissenschaften und Ökotrophologie der CAU haben in Kiel oder zumindest in Schleswig-Holstein ihre neue Heimat gefunden und dies spürt man. Viele meiner Patienten achten zudem auf regionale Erzeugnisse oder informieren sich zumindest über den Herstellungsprozess ihrer Lebensmittel.
Ist durch die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Lebensmitteln gewachsen, die das Immunsystem stärken? Z.B. Phytonährstoffe aus Brokkoli, Karotten und Co.?
Definitiv ja. Ich kann den Patienten definitiv verstehen und finde die grundsätzliche Idee völlig in Ordnung und auch richtig. Häufig befindet sich der Fehler jedoch bereits in der Frage, bzw. die Frage wird bereits mit einer gewissen Erwartungshaltung gestellt. Wir versuchen Lebensmittel immer in schwarz/weiß oder gut/schlecht einzuordnen. So einfach ist das jedoch leider nicht. Wenn ich mich zu wenig bewege, zu viel Alkohol trinke, tagsüber nur Fast-Food esse und zusätzlich rauche, dann kann mein Ananas-Ingwer-Spinat-Smoothie zum Abendessen nur bedingt seine Wirkung entfalten. Die einzelnen Nährstoffe in meinem Smoothie sind zwar super, jedoch sollte ich die Ernährung in Kombination mit meinen anderen Lebensstilfaktoren betrachten und dann Konsequenzen daraus ziehen. Ich verfolge den Ansatz einer ganzheitlichen Betrachtung und würde in diesem Falle sagen: Bitte aufhören zu rauchen, weniger Alkohol trinken, mehr Sport treiben, sparen Sie sich das Geld für den Smoothie und wählen Sie regionales und saisonales Obst und Gemüse. Die Corona-Pandemie hat vielen Patienten jedoch auch die Augen geöffnet und ihnen das Themenfeld der Ernährung nähergebracht. Ich finde es sehr interessant zu beobachten, welche Ernährungsthemen momentan als aktuell gelten, über die sich vor drei Jahren niemand Gedanken gemacht hat, obwohl sie ebenso zur damaligen Zeit aktuell waren. Tatsächlich erkenne ich in dieser Situation jedoch auch die Möglichkeit, sich auf eine gesunde Ernährung zu besinnen und diese wieder vermehrt in den Fokus zu rücken.